Elias Kirsche - Text und Sex

Erotographie - Erotosophie - nacktes Dasein

Das Geheimspiel

Nach dem Mittagessen ist im Kindergarten immer Siesta. Während der Siesta kann und will er nicht schlafen, weil er sich von drei Erzieherinnen beobachtet fühlt. Er muss aber schlafen, ähnlich wie er das Weissbrot essen muss

„Wie kann man nur mitten am Tag, wenn es hell ist, in einem Raum mit 39 anderen Kindern unter Kontrolle einschlafen?“, fragt er sich als eine Erzieherin ihm falsch und zu laut ein Schlaflied zu singen versucht. Während der Siesta tut er nur so, als ob er schläft. Tatsächlich langweilt er sich. Um die Schlafzeit totzuschlagen, zieht er heimlich unter der Decke seine Unterhose aus und spielt mit seinem Organ ein Spiel. Manchmal schaut er dabei das Gesicht von Lenin an, das über seinem Bett hängt. Oder er fragt sich, was Prinz William gerade tut. Sein Organ wird grösser und juckt angenehm. Dieses Spiel ist sein Geheimspiel. Niemand weiss etwas davon. Nur er weiss es. 

Sein Tagesablauf ist immer gleich und wird vom Spielen bestimmt: Zuerst die Spielzeit mit anderen Kinder draussen. Zu dieser Zeit steht er still vor dem Drahtzaun und beobachtet neidisch durch karierte Drähte „freie“ Passanten. Danach – die Spielstunden drinnen, die er entweder nicht versteht oder wo er nicht gut ist. Danach – das Geheimspiel mit seinem Organ, unter der Decke. Dazwischen – die Essenszeiten, während dessen er das Essen, das ihm nicht schmeckt, möglichst zu schlucken versucht, ohne zu kauen. Bis heute ist es ihm immer gut gelungen, während er so tat, als ob er schlief, sein Geheimspiel zu spielen, ohne dass er von den Erzieherinnen jemals entdeckt wurde. Da er sich im Kindergarten fremd fühlt, ist sein Geheimspiel die einzige Tröstung.

Heute ist alles anders. Nachdem er unter der Drohung des Chefkoches das Weissbrot mit der Erbsensuppe gegessen hat, spürt er starke Bauchschmerzen. Er ignoriert sie und versucht, indem er so tut, als ob er schläft, sich auf sein Geheimspiel zu konzentrieren. Es gelingt ihm aber nicht, weil zu den Bauchschmerzen plötzlich noch Stuhldrang dazu kommt. Er muss, und zwar – sofort. Er springt auf und läuft in Richtung Toilette, ohne zu überlegen, ohne die Unterhose anzuziehen. Nackt. Eine der Erzieherinnen bemerkt es, steht auf und gibt einen lauten Schrei vor sich.

„Aaah!!! Illiaaah!“

„Wahrscheinlich hat sie ein Kind noch nie nackt gesehen…“, denkt er, während er noch schneller weiter läuft.

Alle anderen Kinder werden sofort wach. Bevor aber jemand zu handeln beginnt, verschwindet er in einer Toilettenkabine. Er verriegelt die Tür hinter sich. Er hat es geschafft.

Kaum erledigt er sein Geschäft, klopft eine Erzieherin an der Tür. Er sitzt still, atmet nicht und bewegt sich nicht.„Mach so-fort auf!“, schreit die Erzieherin. Das ist die gleiche, die schon am Anfang geschrien hat.

 Er sitzt still, atmet nicht und bewegt sich nicht. Er schaut auf die Tür. Die Tür ist aus Plastik, dünn und weiss.

„Mach so-fort auf!!“

Die Stimme der Erzieherin wird noch lauter, und noch dringender.

„Mach so-fort auf, habe ich gesagt!!!“

Nachdem sie das Schloss anschlägt, mit der deutlichen Absicht, es aufzubrechen, antwortet er:

„E, E, Entschuldigen Sie… Ich bin aber noch nicht fe, fe, fertig!“

„Das ist mir egal!!“, schreit die Erzieherin und wird hysterisch.

„Du darfst nicht einfach nackt durch die Gegend rumlaufen!!! Das ist bei uns striktens verboten!!! Haben deine Eltern es dir nicht beigebracht!!!“

Er versucht, sich zu erinnern. Er kann sich nicht daran erinnern. Doch diese Frage bedarf eine Antwort, möglichst schnell:

„Doch… nein…“

„Nein?!! Das kann gar nicht wahr sein!!! Mach so-fort die Tür auf und zieh so-fort deine Unterhose an!! Sonst werde ich die Tür aufbrechen!!! Und den Kindergartenleiter holen!! Dann bestrafen wir dich!!!“

Bestrafen.

Und tatsächlich: Er hört hinter der Tür die Stimmen. Die Stimmen von zwei anderen Erzieherinnen. Und die Stimmen der anderen Kinder. 

Er steht auf, öffnet vorsichtig das Schloss und schaut durch einen kleinen Spalt hindurch. Er sieht die Erzieherin. Sie steht da, mit seiner Unterhose in der Hand. Hinter ihr stehen noch zwei andere Erzieherinnen. Hinter ihnen die Kinder. 39 Kinder. Hinter ihnen hängt ein Lenin-Portrait. Ganz alleine.

Die Erzieherin streckt ihm seine Unterhose durch den Spalt.

„Ziehe die Unterhose an!!! So-fort!! Dann darfst du herauskommen!!!“

Die anderen 39 Kinder lachen.
Ab sofort ist er ein Verbannter.
Ein Allerweltsnarr.
Ein ganz fremder.